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Inhalt: Kurzgeschichten

Ein Herz und zwei Seelen

Rotgolden glänzend stand der Sonnenball am Horizont und seine abendlichen Strahlen reichten weit über den Himmel bis hinein in die grauschwarzen Wolken, die sich über Klaus zusammengebraut hatten.
Irgendwie symbolisch für seine Situation, dachte Klaus.
Die Sonne und ihre Strahlen waren für ihn und Ruth immer das Herzstück ihrer Liebe gewesen.
Ein Symbol, das sie seit ihrer ersten Begegnung stetig begleitete, seit dem Augenblick in dem er eine handgroße, geschnitzte Sonne an jenem Weihnachtsmarktstand kaufte, an dem sie als Aushilfskraft arbeitete, um ihr Studium unterstützend zu finanzieren.
Er würde den Augenblick niemals wieder vergessen.
Als er die Sonne auswählte, schenkte sie ihm ein bezauberndes Lächeln.
Erst da bemerkte er, dass sie kleine, silberne, mit Strass besetzte Sonnenohrringe trug.
Er lächelte zurück und sie unterhielten sich bestimmt eine halbe Stunde über die Bedeutung, die die Sonne für sie beide hatte.
Begeistert stellten sie fest, dass sie sich nach Menschen sehnten, die das Licht und die Wärme der Sonne im Herzen trugen und ihre Augen strahlten dabei, als ob ein Stern aus ihnen leuchten würde.
Sie tauschten Adressen und Telefonnummern aus, schrieben sich und sprachen wochenlang immer intensiver miteinander.
Als sie sich zum ersten Mal richtig verabredeten, erkannten beide, dass die Sonne ihre beiden Herzen zum Glühen erweckt hatte.
Die folgenden Monate waren für sie ein gemeinsamer Traum und sie versprachen sich, ihn ein Leben lang träumen zu wollen.
So intensive Gefühle hatte Klaus noch nie im Leben empfunden.
Es war ihm, als könnte er fliegen.
Seine Welt bestand aus einem bunt schillernden Farbenmeer, das von einer roten Sonne gespeist wurde.
Zum ersten Mal, dachte er, bin ich glücklich und lebe mit jeder Faser meiner Seele.
So vergingen die Monate und Klaus hatte den Eindruck, dass die gemeinsam verbrachte Zeit noch viel schneller verstrich, als er es sonst jemals empfunden hatte.
Doch sie wirkte lange nach, denn viele Erlebnisse und Details brannten sich unauslöschlich in seine Gedanken ein.

Doch dann kam die Zeit, in der die ersten Probleme auftraten, denn Klaus war weiß Gott kein einfacher Mensch und sein Hang zu negativen Gedanken erschwerte ihr Leben von Zeit zu Zeit bedeutend.
Es entstanden aus nicht logisch erklärbaren Gedankenbildern empfindliche Missverständnisse, doch da sie über alles ausführlich, umsichtig, verständnisvoll und ohne Tabu sprachen, umschifften sie diese Klippen.
Eines Tages schaute Ruth ihn besonders verliebt an, liebkoste ihn zärtlich und sie schauten sich gemeinsam von ihrem Schlafzimmerfenster aus an, wie die Sonne hinter den Baumwipfeln der nahen Hügelkette unterging.
Sie wusste genau was er jetzt empfand, denn genau wie seins, war ihr Herz nun leicht und offen wie die Blüte einer duftenden Sommerblume und sie flüsterte ihm leise ins Ohr, dass sie sich ein Kind von ihm wünsche.
Klaus fühlte urplötzlich einen heftigen Stich in seinem Herzen, denn dies war bei ihnen noch nie Thema gewesen.
Ruth spürte seine Angst und fragte ihn, was ihn so erschrecke.
Nach einigem Zögern überwand sich Klaus und erzählte ihr, dass er als Jugendlicher von anderen aufs grausigste verprügelt und getreten wurde und Jahre später von einem Arzt festgestellt worden wäre, dass er nie Kinder würde zeugen können.
Ruths Seele verkrampfte sich bei seinen Worten und lautlos liefen Tränen über ihre Wangen.
Sie wandte sich ab und vergrub ihr Gesicht in ihrem Kopfkissen.
Klaus bemerkte erschreckt, dass es seiner Freundin plötzlich sehr schlecht ging.
Er wollte ihr etwas Versöhnliches und Aufmunterndes sagen, doch kein Laut kam über seine Lippen.
Er war zur Salzsäule erstarrt und beobachtete seltsam fasziniert, so als ob er sich eine spannende Filmszene anschauen würde, seine auf dem Bett liegende, regungslose Freundin.
Eine unsichtbare Macht hatte ihm sein Sprachvermögen geraubt.

Auch am nächsten Morgen war ihr Gesicht noch versteinert und der Kuss, den sie ihm zum Abschied gab, hatte nicht den Geschmack, der sonst seine Seele erwärmte.
Mit einem beklommenen Gefühl trat er seine zweiwöchige Dienstreise an.
Die Telefonate, die sie führten, waren merkwürdig leer und er spürte förmlich, wie sie ihm ihre Liebe entzog, sich immer mehr von ihm abwandte und eine eisige Angst umschloss sein Herz.
Als er wiederkehrte, überschüttete sie ihn mit Küssen und sie liebten sich verzweifelt, wie Ertrinkende, die sich aneinander klammern um nicht unter zu gehen.
Doch die Angst blieb und Ruth benahm sich seltsam abwesend und unaufmerksam, war ständig gereizt und nervös, lachte oftmals hysterisch, kleidete und pflegte sich immer unordentlicher, ließ sich merkwürdige Ausreden einfallen, wenn er sie ausführen wollte, nörgelte an ihm herum, bezeichnete ihn gar als Träumer, der die Realität nicht erkennen würde und verbrachte immer mehr Zeit mit einer Freundin, von der Klaus vorher noch nie etwas gehört hatte.
Er erkannte seine Freundin nicht mehr wieder und fühlte, dass etwas geschehen sein musste.
So ging das viele Wochen, bis Ruth sich eines Morgens nach dem Frühstück plötzlich übergeben musste.
Als es die nächsten Tage nicht besser wurde, suchte Ruth den Arzt auf und auf Klaus Fragen antwortete sie, dass sie schwanger sei.
Klaus verstand die Welt nicht mehr, denn ein erneuter Test hatte ihm seine Zeugungsunfähigkeit bestätigt.
Er beobachtete völlig schockiert und entsetzt das Verhalten seiner Freundin, denn Ruth war nahe daran den Verstand zu verlieren.
Ihre Gedanken rasten und sie fühlte sich gejagt wie ein Tier, das die Häscher in die Enge getrieben hatten.
Sie nahm fast nichts mehr zu sich, ihre Wangen fielen ein, sie litt zunehmend an Schlaflosigkeit und dicke, schwarze Ränder umgaben ihre Augen.
Aus den ihnen entsandten leuchtenden und warmen Strahlen war eine Sonnenfinsternis geworden.
Das Kind wurde eine Frühgeburt und es war nicht lebensfähig, aber der Schock verblieb in ihren beiden Seelen.

Ruth lag noch immer im Krankenhaus.
Klaus saß zu Hause, biss sich die Lippe blutig und sein Kopf schmerzte und drehte sich vor lauter Grübelei.
Schließlich hielt er es nicht mehr aus, er musste wissen wie es ihr jetzt ging und unbedingt mit ihr über alles vernünftig reden.
Er verließ das Haus, hielt ein Taxi an und kaufte auf dem Weg zum Krankenhaus eine Sonnenblume.
Leise öffnete er die Tür zu ihrem Zimmer.
Sie hatte die Augen geschlossen und an ihrem gleichmäßigen, tiefen Atmen erkannte er, dass sie schlief.
Vorsichtig nahm er einen Stuhl, setzte sich neben ihr Bett und betrachtete sie mit einem tiefen Blick, als ob er auf dem Grund ihrer Seele reines Quellwasser trinken wollte.
Plötzlich brachen draußen die schweren Regenwolken auf und ein zarter Sonnenstrahl leuchtete durch das Fenster ins Zimmer und streichelte Ruths Gesicht.
Ihre Augenlider zuckten kurz und ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen.

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