Inhalt: Kurzgeschichten
Zombies
Freitagabend, ich komm mal wieder vom Badminton. Das Spiel war gut, die Gegner hart und ich bin voll ausgepowert
aber fühle mich total entspannt und guter Dinge. Das Highlight des heutigen Spiels war eine Partnerin,
die so was von einem Sport-Hot-Pant trug und dazu noch so ein Trikot mit Ausschnitt an hatte,
dass es verboten werden müsste. Aber gut, ich fühle mich irgendwie sehr belebt!
So steige ich also in den Linienbus ein, der mich in einer halben Stunde wieder nach hause bringen soll.
Ich weiß nicht, ob das an mir liegt oder was hier los ist, jedenfalls fühle ich mich so richtig gut
und schaue mich unauffällig im Bus nach etwas gleichartig Lebendigem um. Aber nix in Sicht.
Ich schaue mir die Mitfahrenden an und was sehe ich für Augen?
Traurige Augen, Hasserfüllte, Stumpfe, Glasige, Betrunkene, Brutale, Abweisende, Gleichgültige, Genervte, Irre.
Ich denke so bei mir: Mon Dieu, lebt denn hier nix mehr? Mir fällt eine Textzeile von Element of Crime ein:
Bring mich dahin, wo noch irgendetwas lebt!
Doch da, was ist denn das?
Da gucken mich zwei liebevolle, wache und aufmerksame Augen an! Ich danke dem Herrn für dieses Wesen!
Es ist ein Hirtenhund!
Nachdem ich Abendbrot gegessen habe, schmeiße ich die Kiste an und checke Mails. Mist! Keine da!
Hängen bestimmt alle in der Kneipe, vor dem Fernseher, oder haben wohl gerade schlichtweg was Besseres zu tun.
Als guter, weltoffener Single, bin ich natürlich auch Mitglied bei so einer Freundeseite. Was gibt's denn hier Neues?
Mal sehen: Hallo und Guten Abend beim täglichen Idiotenwettrennen! Mann sucht liebevolle Frau für gelegentliche Treffen!
Im Gästebuch mal wieder ein Blümchen von einer Von-Bildchen-zu-Bildchen hüpfenden Honigschleimsammlerin!
Aber hier jetzt: eine heiße Diskussion über Gott und die Kirche! Dazu will ich als bekennender Atheist auch was beitragen!
Nach einigem Hin und Her schreibt mir Jemand, dass das mit der Kirche so sei, wie es Jürgen Becker sagt:
die Kirche macht das gut, sie verkauft etwas, was noch nie Jemand gesehen hat Punkt
Ich bin beeindruckt, aber nicht lange, dann schreibe ich:
Genau deswegen mag ich die Kirche nicht: sie verkauft etwas. Und Liebe kann man nicht kaufen!
Und warum merken das so Wenige: weil wir Illusionen brauchen, sonst würden wir sofort sterben.
Ein Anderer meint, wir sollten es so halten, wie der Papst das neulich gesagt hat: wir sollten alle Jesus-ähnlicher werden!
Ich schreibe: Das sind wir doch schon! Was meinst Du denn, wie viele Kreuzigungen wir Arbeitnehmer
täglich bei der Hin- und Rückfahrt zum Arbeitsplatz und bei den Begegnungen am Arbeitsplatz auf uns nehmen?!
Oder lieben Dich Dein Chef und Deine Kollegen und die freundlichen Kunden?
Und wehe, wir verlieren den Arbeitsplatz! Dann werden wir erst recht gekreuzigt! Von der Gesellschaft, von den Ämtern!
Und vor allem können wir uns dann nichts mehr kaufen! Das ist dann echt schlimm! Wo wir uns doch alles kaufen!
Gegenstände, Klamotten, Häuser und Menschen. Wie wählt sich der moderne Single seinen Traumpartner aus?
Oh, der sieht aus wie Brad Pitt oder Angelina Jolie. Sie trägt Klamotten von Gucci, er trägt Parfum von Karl Lagerfeld.
Sie hat tolle Beine, er sieht einfach göttlich aus. Wir wählen uns den Partner aus, als ob wir ins Kaufhaus gehen.
Ich glaub, ich kauf mir ne Schaufensterpuppe und kleide sie jeden Tag neu ein!
Arbeiten um zu Shoppen! Was innen drin ist, interessiert keinen mehr. Du kannst doch shoppen gehen, also geht's Dir gut!
Wie das Seelenheil der Menschen aussieht, merkt man dann an einer Busfahrt oder den alltäglichen kleinen Gesprächen,
die man so führt. Wir leiden alle! Und werden vom Staat von Klein auf auch noch angeleitet zu leiden,
denn wir sollen ja arbeiten gehen, damit aus uns was wird, wir viel Geld scheffeln und auch wieder ausgeben können.
Sind wir denn nichts, wenn wir nicht arbeiten? Das ganze System scheint mir überholt.
Geld! Warum brauchen wir noch Geld? Wie schön könnte das Leben sein, wenn wir es nicht nötig hätten Geld zu verdienen!
Die zwischenmenschlichen Beziehungen könnten gepflegt werden, Künste und innovative Ideen könnten verwirklicht werden,
Talente gefördert werden, es gäbe keine Armen und Hungerleidenden mehr,
sondern soziale Gleichstellung und Gerechtigkeit aller Menschen. Aber nein, zu allem braucht man Geld!
Und damit fängt der Leidensdruck an, schon in der Schule beginnt das Konkurrenzdenken.
Und setzt sich im Arbeitsleben dann fort. Ellenbogengesellschaft, Mobbinggesellschaft. Ja Mobbing macht sogar Spaß!
Klar, haben wir ja schon in der Schule gelernt! Es macht Spaß den eigenen Frust auf einen anderen zu projizieren
und ihn dann leiden zu sehen. Das mindert unser eigenes Leid. Schöne Gesellschaft!
Die psychosomatischen Kliniken sind voll von Kapitalismusgeschädigten! Hätte ich 70 Jahre früher gelebt,
wäre ich in die Gaskammer gekommen! Schön, ne? Dann doch lieber Kapitalismus.
Oder geht Demokratie auch ohne Kapitalismus?
Um unser eigenes Leid zu mindern haben wir auch gelernt uns zu beschweren. Das ist ja in Deutschland Volkssport Nummer Eins.
Wer sich ständig beschwert, nimmt das Leben echt schwer und ist weit davon entfernt mit Leichtigkeit durchs Leben zu gehen.
Wer immer schwerer wird, wird dann eines Tages krank.
Gleich nach dem Beschweren kommt das Putzen. Wer nicht in einer Wohnkaufhauswohnung lebt gilt als asozial.
Wir sind ja so ein sauberes Volk. Wahrscheinlich haben wir einiges rein zu waschen.
Arbeit macht nämlich frei von Schuld. Jedenfalls glaubt man das. Wer im Stress ist, merkt nix mehr!
Aber genug philosophiert! Der Abend ist noch jung. Ich beschließe auszugehen.
Kann jetzt noch nicht schlafen gehen. Irgendwie ruft das Leben.
Im Bus lächeln mich die Frauen an, hey, das ist doch schon mal ein guter Anfang.
In einem belebten Cafe in der Innenstadt, lerne ich auch direkt schon eine attraktive Frau kennen.
Von der Bar wechseln wir zu einer Sitzgruppe und unterhalten uns angeregt über
Musik, Filme, Literatur, schöne Orte auf dieser Welt, Freunde und Familie.
Sie ist nett und intelligent und ich genieße das Gespräch. Nach zwei Stunden verabschiedet sie sich
und steht glücklich lächelnd auf. Ihre dünne weiße Hose ist im Schritt nass.
Also ich glaub, ich brauch jetzt mal nen richtigen Drink, so mit viel Alkohol drin!
Ich wechsle die Lokalität und ich besuche eine Kneipe mit Live-Musik. Das Duo ist super!
Der Sänger röhrt und der Gitarrist zupft, dass es eine wahre Pracht ist Ihnen zu zuhören!
So sitze ich am Tresen und trinke, als sich eine Frau zu mir setzt. Es dauert keine fünf Minuten, da quatscht sie mich an.
Nach einer halben Stunde fragt sie mich, wann ich den letzten Sex gehabt hätte.
Nach einer Stunde fragt sie mich, ob ich jetzt mit ihr schlafen wolle.
Wir bezahlen und ziehen ab. Draußen hakt sie sich bei mir ein, kurze Zeit später gehen wir Hand in Hand.
An einem Imbiss meint sie, sie müsse noch was essen. Während sie kaut, gehe ich aufs Klo.
Als ich zurückkomme, ist sie verschwunden. Ich sitze in meinem Sessel und denke: ist sie auch aufs Klo? Kotzen? Kokain?
Ich nehme den Nachtbus nach hause und denke bei mir: vielleicht gehst Du nächsten Freitag mal besser kegeln!
Michael Greven / Gedankenträume.de / 2002-2024